Orchesterwerke

Die Melodie von „Also sprach Zarathustra“ ist durch Stanley Kubricks Film „2001: A Space Odyssey“ auch einem Publikum vertraut, das mit E-Musik sonst eher weniger anfangen kann. Berühmt sind aber auch Richard Strauss’ Sinfonia Domestica und der Höhepunkt seiner Instrumentationskunst, die Alpensinfonie

Alpensinfonie

Nach der "Symphonia domestica" schien es, als hätte sich Strauss vollends dem Musiktheater zu- und von der sinfonischen Dichtung abgewendet. Mit einer großartigen Naturschilderung trug er jedoch noch ein letztes Meisterwerk zu der von ihm vollendeten Gattung bei.
Die Atempause, die ihm 1911 Hugo von Hofmannsthals Ausarbeitung der Dichtung zu "Die Frau ohne Schatten" bot, nutzte der Komponist zur Skizzierung seines sinfonischen Plans. Dabei griff er auf ein Jugenderlebnis zurück: Im August 1878 hatte er bereits einmal versucht, eine abenteuerliche Bergtour zu Musik zu machen.
Das Ergebnis war "natürlich riesige Tonmalerei und Schmarren (Wagner)", wie er selbstkritisch bekannte. 1902 skizzierte er den Plan wieder, doch erst in seinem Garmischer Haus Ende 1914 nahm er eine endgültige, monumentale Form an.
Die Uraufführung seiner letzten sinfonischen Dichtung leitete der Komponist in Berlin am 28. Februar 1915 selbst. Den enormen Orchesterapparat (rund 125 Musiker samt der Orgel) stellte die Dresdner Hofkapelle, der das Werk auch "in Dankbarkeit" gewidmet ist.


Stationen einer Bergwanderung

Nicht weniger als 22 Stationen und Situationen einer ganztägigen Bergwanderung hat der Komponist in seinem Werk darzustellen versucht: "Nacht – Sonnenaufgang – Der Anstieg – Eintritt in den Wald – Wanderung neben dem Bache – Am Wasserfall – Erscheinung – Auf blumige Wiesen – Auf der Alm – Durch Dickicht und Gestrüpp auf Irrwegen – Auf dem Gletscher – Gefahrvolle Augenblicke – Auf dem Gipfel – Vision – Nebel steigen auf – Die Sonne verdüstert sich allmählich – Elegie – Stille vor dem Sturm – Gewitter und Sturm – Sonnenuntergang – Ausklang – Nacht".
 

"Antichrist"

Einige der für Strauss typischen, lakonisch-trockenen Aussprüche sind auch zur "Alpensinfonie" überliefert: "Jetzt endlich hab‘ ich instrumentieren gelernt!" oder: "Ich hab‘ einmal komponieren wollen, wie die Kuh die Milch gibt!"
Dass es ihm sehr wohl um Tieferes ging, beweist hingegen diese Äußerung: "Mir ist absolut klar, daß die deutsche Nation nur durch die Befreiung vom Christentum neue Tatkraft gewinnen kann. Ich will meine ‚Alpensinfonie ‘ den Antichrist nennen, als da ist: sittliche Reinigung aus eigener Kraft, Befreiung durch die Arbeit, Anbetung der ewigen herrlichen Natur."

Also sprach Zarathustra

Richard Strauss war kein Kinofreund. Seinen "Zarathustra" schrieb er als Auseinandersetzung mit einem Elite-Philosophen. Dank Stanley Kubricks Film "2001: A Space Odyssey" (1968) wurde das Musikstück allerdings einem Millionenpublikum vertraut.
"Man darf vielleicht den ganzen Zarathustra unter die Musik rechnen - sicherlich war eine Wiedergeburt in der Kunst zu hören, eine Voraussetzung dazu." Das erkannte schon Friedrich Nietzsche selbst, der an seinem Hauptwerk "Also sprach Zarathustra" 1883 bis 1885 schrieb.
Die Form schon ist bemerkenswert: keine philosophische Abhandlung, sondern eine Aneinanderreihung literarisch aufgeladener, besessen-ekstatischer Monologe des persischen Religionsgründers (die zumeist mit der Formel "Also sprach Zarathustra" schließen).
 

"Freuden- und Leidenschaften"

Strauss, enorm belesen und interessiert, wählte "Zarathustra" als Herausforderung – und aus dem Werk acht Kapitel: "Von den Hinterweltlern" (mit einem singulären Schöpfungsmythos: "Wegsehen wollte der Schöpfer von sich – da schuf er die Welt"), "Von der großen Sehnsucht", "Von den Freuden- und Leidenschaften", "Das Grablied", "Von der Wissenschaft", "Der Genesende", "Das Tanzlied" (hier findet sich der einzige Walzer in einer Sinfonischen Dichtung bei Strauss) und "Das Nachtwandlerlied".
 

"Musikdrama ohne Worte"

Noch weniger als bei realen Vorgängen und Situationen ist bei philosophischen Ideen eine "Abbildung" in musikalische Sprache möglich. Das Ergebnis ist eher ein klangmächtiges, farbenreiches "Musikdrama ohne Worte" (R. Kloiber), das von dem bekannten, lapidar-monumentalen Zarathustra-Thema und einem unwirklich verhallenden Nachklang eingerahmt sind.
Noch größer als in "Till Eulenspiegel" ist die Bläserbesetzung, und auch die Orgel ist dem Orchester hinzugefügt. Strauss antwortet der Sprache des visionären Philosophen mit seiner eigenen, originellen Musiksprache und verteidigt so, wie Romain Rolland es ausdrückte, "seine Freiheit Nietzsche gegenüber".
 

Weltgeltung – noch vor Kubrick

Am 4. Februar 1896 begann Richard Strauss mit der Komposition, die er am 24. August desselben Jahres vollendete und am 27. November in Frankfurt zur Uraufführung brachte. Auf seinen Konzertreisen, die nun immer zahlreicher wurden, verschaffte er dem Stück binnen kurzem Weltgeltung – noch bevor sich Kubricks genialer Film der genialen Musik bemächtigte...

Aus Italien

Franz Strauss war sparsam, aber er wusste, wann er in die Bildung des Sohnes investieren musste: Die Italienreise 1886 bringt Richard der italienischen Kunst näher, der italienischen Oper ferner und inspiriert ihn zu einem frühen Meisterwerk.
Der Vater Franz Strauss war überzeugt, "dass dieser Eindruck auf Dein künftiges künstlerisches Schaffen von Einfluss ist", und meinte die erste Italienreise, die er dem 21-jährigen Richard im Frühjahr 1886 finanzierte. Aus dem knappen Resümee des Sohnes ersehen wir, dass der Vater recht behielt: "Verona, Bologna, Rom, Neapel, Florenz. Resultat: die italienische Suite."
Die von Strauss bei einem Akademiekonzert im Münchner Odeon geleitete Uraufführung (2. März 1887) spaltet das Publikum. Der Komponist selbst kolportiert genüsslich den Witz: "... man merkt am Finale, dass Strauss gleich nach der Cholera in Neapel gewesen ist", er legt aber auch, zwei Jahre nach der ersten Aufführung, ein detailliertes Programm des viersätzigen Werkes vor:
 

Werkbeschreibung aus erster Hand

"1. Auf der Campagna: Andante 4/4 (G-Dur): [...] Präludium, welches die Stimmung wiedergibt, die der Komponist beim Anblick der weiten, in Sonnenglut getauchten römischen Campagna, von der Villa d’Este in Tivoli aus gesehen, empfand [...]

2. In Rom’s Ruinen: Allegro con brio (6/4 3/2) C-Dur: Fantastische Bilder entschwundener Herrlichkeit, Gefühle der Wehmut und des Schmerzes inmitten sonnigster Gegenwart. [...]

3. Am Strande von Sorrent: Andantino (A-Dur 3/8): In diesem Satz ist der Versuch gemacht, die zarte Musik der Natur, die das innere Ohr im Säuseln des Windes in den Blättern, in dem Gesang der Vögel und allen den feinen Naturstimmen, in dem fernen Rauschen des Meeres, von dem ein einsamer Gesang ans Ufer schallt, vernimmt, tonmalerisch darzustellen [...].

4. Neapolitanisches Volksleben: Hauptthema ist ein bekanntes neapolitanisches Volkslied [‚Funiculi, funicula’], außerdem ist als Codamotiv eine Tarantella verwendet, welche der Komponist in Sorrent hörte. Nach einigen lärmenden Eingangstakten beginnt das Hauptthema, von Bratschen und Celli vorgetragen, diesen tollen Orchesterspuk, der in einem lustigen Durcheinander von Themen das bunte Treiben Neapels schildern will; die anfangs nur von Ferne erklingende Tarantella gewinnt gegen Ende des Satzes immer mehr die Oberhand und bildet den Abschluß dieser Humoreske. Einige Anklänge an den ersten Satz mögen die Sehnsucht nach der Ruhe der Campagna ausdrücken."

Don Juan

Der "Don Juan" nach Nikolaus Lenau ist die erste vollendete sinfonische Dichtung von Richard Strauss und sein erstes großes Werk, das international berühmt wird. Der Komponist selbst leitete die umjubelte Uraufführung in Weimar 1889.
Die erste von Strauss in Angriff genommene einsätzige Tondichtung ist der von William Shakespeare inspirierte "Macbeth". Er stellt die Arbeit jedoch zugunsten des "Don Juan" 1888 zurück, den er noch in München beendet.
Die Uraufführung leitet er dann am 11. November 1889 im Weimarer Hoftheater und berichtet darüber: "Also‚ ‚Don Juan’-Erfolg großartig, das Stück klang zauberhaft und ging ausgezeichnet und entfesselte einen für Weimar ziemlich unerhörten Beifallssturm."
Auch der bedeutende Dirigent Hans von Bülow bestätigt den "ganz unerhörten Erfolg" des Stückes, mit dem sich der Name Richard Strauss dauerhaft in den Konzertprogrammen etablieren wird.
"Don Juan" ist übrigens auch sein erstes Werk, das (1892) die Wiener Philharmoniker zur Aufführung brachten. Frederick Ashton hat dem "Don Juan" eine Balletthandlung unterlegt, die 1948 in der „Covent Garden Oper London“ erstmals aufgeführt wurde.
 

Lenaus Romantik

Das 1843 entstandene Epos des österreichischen Dichters Nikolaus Lenau stellt Strauss der Partitur voran. Es atmet romantische Sehnsucht und Zerrissenheit: "Den Zauberkreis, den unermesslich weiten, / Von vielfach reizend schönen Weiblichkeiten / Möcht’ ich durchziehn im Sturme des Genusses, / Am Mund der letzten sterbend eines Kusses. [..]"
Geradezu als Motto für den aufstrebenden jungen Komponisten lesen sich diese Zeilen Lenaus: "Hinaus und fort nach immer neuen Siegen, / So lang der Jugend Feuerpulse fliegen."
Doch klingt das Lebensbild des Verführers in pessimistischer Stimmung aus: "... der Brennstoff ist verzehrt, / und kalt und dunkel ward es auf dem Herd."
 

Vitales Temperament – klare Form

In dieser Schöpfung offenbart der 24-jährige Strauss in einer Art Rondoform die Pole seines Talents, die er in seinen Meisterwerken stets zusammenzwang: vitales Temperament und reiche Themensprache einerseits sowie klare Formgliederung andererseits.
Nach einer stürmischen Eröffnung wird das erste Don Juan-Thema exponiert, dem drei Frauentypen gegenübergestellt werden: der schwärmerisch-hingebungsvolle, der leidenschaftliche und der sentimentale. Einem als Maskenspiel gedeuteten Anhang folgt letztendlich der tragische Ausklang.
 

Großer Verführer – treuer Ehemann

Während der Arbeit an seinem Tongemälde über den großen Verführer lernt Richard Strauss jene junge Dame kennen, mit der er bis zu seinem Lebensende verbunden bleiben wird: die Generalstochter Pauline de Ahna, die 1894 seine Frau wird.

Don Quixote

Kaum ein Komponist hatte so viel Sinn fürs Praktische wie Richard Strauss. Mit dem Don Quixote jedoch stellt er 1898 einen weltfremden Träumer in den Mittelpunkt einer sinfonischen Dichtung.
Der ungemein belesene Komponist ließ sich von Miguel de Cervantes‘ berühmtem Roman zum Porträt des Möchtegern-Ritters inspirieren, den die Lektüre mittelalterlicher Schauergeschichten verwirrt und in halsbrecherische Abenteuer treibt.
Wie diese den beiden Hauptthemen (also Hauptdarstellern) zusetzten, illustrierte Strauss mittels der Variationenform: Das Solocello stellt den Quixote dar, Bassklarinette, Tenortuba und Solobratsche den Diener Sancho Pansa. In der ersten Variation kämpft der Ritter gegen die Windmühlen, in der zweiten gegen die erwähnte Hammelherde, in der er ein kaiserliches Heer zu erblicken glaubt, verheißt seinem skeptischen Diener Ruhm in der dritten, holt sich Prügel in der vierten Variation und tröstet sich im darauffolgenden Abschnitt mit dem Traum seiner auserwählten "Dulzinea".
 

Bauerntanz und Windmaschine

Dieser begegnet Quixote anschließend wirklich: Das vermeintliche Edelfräulein entlarvt Strauss mit einem herzhaften Bauerntanz. In der siebenten Variation, dem Ritt durch die Lüfte, setzt Strauss eine Windmaschine ein – wie er überhaupt größten Einfallsreichtum und Differenzierungskunst in der Instrumentation anwendet.
Ein Schiffbruch in der achten, ein Scharmützel mit zwei harmlosen Mönchen in der neunten und schließlich das großangelegte Duell mit dem imaginierten "Ritter vom blanken Monde" in der zehnten Variation führen zum Finale: Friedlich stirbt der Held.
 

"Außer sich über das Blöken von Schafen"

Am 8. März 1898 wurde – mit dem Dirigenten Franz Wüllner am Pult und dem Cellisten Friedrich Grützmacher ­– "Don Quixote" in Köln uraufgeführt. Er sei "sehr originell, durchaus neu in den Farben und eine recht lustige Vorführung aller Schafsköpfe, die’s aber nicht gemerkt, sondern noch darüber gelacht haben", notierte Richard Strauss.
Doch erntete das komplizierte Orchesterstück geteilten Erfolg. In Paris etwa war das Publikum "außer sich über das Blöken von Schafen; sie glaubten, man wolle sich über sie lustig machen", was ja auch stimmte …

Ein Heldenleben

Richard Strauss bewegt und entzweit das Publikum wie kaum ein anderer Komponist zur Jahrhundertwende. Hatte er nun wirklich sich selbst, noch dazu als "Helden", ins Zentrum seiner neuesten Sinfonischen Dichtung gestellt?
„Die Aufnahme des Werks war sehr stürmisch“, berichtet Strauss seinem Vater aus Berlin, wo er wenig zuvor das Amt des Ersten Kapellmeisters angetreten und soeben, am 22. März 1899, sein jüngstes Werk vorgestellt hat. Ein paar Zeitungen sind wohlgesonnen, "die übrigen spucken Gift und Galle, hauptsächlich, weil sie aus der Analyse zu ersehen glaubten, dass mit den recht hässlich geschilderten ‚Nörglern und Widersachern’ sie selbst gemeint seien und der Held ich selbst sein soll, was letzteres jedoch nur teilweise zutrifft".
 

Held oder nicht Held?

Sich selbst als "Held" zu sehen, wie ihn das Werk mit weitausladender Gebärde anfangs vorstellt, hätte der (selbst-)ironische Strauss nur mit einem Schmunzeln vermocht. "Des Helden Widersacher" sah der Tonsetzer indes mit keinerlei Sympathie, und er leugnet dies im oben zitierten Brief auch nicht. Die "Nörgler", "Zetermordioschreier", "Meckerer" und "Beckmesser" charakterisiert er durch spitze Flöten, schnarrende Oboen und in der Theorie verbotene Quintenparallelen. Auch die (nicht ganz störungsfreie) Liebesszene, die sich mit "Des Helden Gefährtin" entspinnt, könnte durchaus auf Pauline gemünzt sein.
 
"Des Helden Friedenswerke" sind jedenfalls alle von Strauss: so werden im fünften Abschnitt der durchkomponierten Tondichtung von "Don Juan" über "Guntram" bis zu dem Lied "Morgen" zahlreiche Kompositionen herbeizitiert. "Des Helden Weltflucht und Vollendung", mit denen das Werk schließt, konnte Strauss allerdings nur schwerlich autobiographisch meinen...
 

Niemals höher – immer länger ...

Romain Rolland zeigt sich fasziniert und abgestoßen zugleich von dem Opus: "Es war einem zumute, wie dem heiligen Laurentius, den man auf seinem Rost mit weißglühenden Spießen umdrehte", notiert er, und vermutet gleich darauf, "dass der Pfeil des Lebens bei Strauss niemals höher gestiegen ist als damals".
Noch eine Zeitnehmung: Die Aufführungsdauer des "Don Juan" beläuft sich auf nur knapp über eine Viertelstunde. Es fällt auf, dass die Stücke immer länger werden. "Opus 40 dauert 40 Minuten", äußerte Richard Strauss (wofür man allerdings sehr flotte Tempi anschlagen muss; die meisten nachschöpfenden Dirigenten liegen beim "Heldenleben" einige Minuten darüber). Die letzte der sinfonischen Dichtungen, "Eine Alpensymphonie" (1915), dauert nicht weniger als 50 Minuten.

Metamorphosen

Mit diesem letzten großen Orchesterwerk kehrt Richard Strauss noch einmal zur Gattung seiner rauschenden Jugenderfolge zurück – unter ganz anderen Voraussetzungen jedoch: Er komponiert einen Klagegesang, nimmt Abschied.
Die Vaterstadt München und ganz Deutschland liegen in Trümmern, als der 81-jährige Strauss am 13. März 1945 beginnt, das "Andante" (so der Titel auf dem Particell) niederzuschreiben. Knapp einen Monat später ist das Werk beendet und erhält die Bezeichnung "Metamorphosen". Schon die in Halbtönen absteigende Linie (die seit dem Barock gebräuchliche Melodieform für Tod und Klage) der tiefen Streicher zu Beginn weist diese "Verwandlungen" als Lamento, ein Trauerlied ohne Worte aus.
 

"Trauer um München"

Über Vermittlung seines Biographen Willi Schuh nimmt Strauss im Herbst 1944 einen Kompositionsauftrag des Schweizer Dirigenten Paul Sacher an. "Trauer um München" notiert er in sein Skizzenbuch als Ausgangsidee.
Am 25. Januar 1946 leitet der Komponist, der sich mittlerweile in die Schweiz geflüchtet hat, die Generalprobe der "Metamorphosen" im Kirchgemeindehaus Hirschengraben Zürich. Er zeigt sich vital, wenn auch schon von beginnender Schwerhörigkeit behindert. An demselben Abend findet die Uraufführung des knapp halbstündigen Werkes durch die Widmungsträger – Sacher und sein Collegium Musicum – vor einem gerührten Publikum statt.
 

Requiem für Hitler?

In den Schlusstakten erscheint das Ergebnis der Verwandlungen: das Trauermarsch-Thema aus Beethovens dritter Symphonie, der "Eroica" klingt an, Strauss notiert dazu die Worte "in memoriam".
Vollkommen irrig ist die vorübergehend aufgetauchte Interpretation, der greise Komponist hätte Adolf Hitler hier ein Denkmal setzen wollen. Vielmehr gedenkt er dessen, was der Diktator zerstört hat: der geographischen und kulturellen Heimat nicht nur eines Richard Strauss. Jedenfalls trifft Franzpeter Messmers Fazit zu, die "Metamorphosen" "bleiben ein Rätsel, wie Beethovens späte Streichquartette oder Michelangelos letzte Skulpturen".

Sinfonia Domestica

Richard Strauss widmete das Werk jenen, von denen es handelt: "Meiner Frau und unserem lieben Jungen". Bemerkenswert, dass gerade die "häusliche Sinfonie" tausende Kilometer entfernt von der Heimat, in New York, uraufgeführt wurde.
Weitere Merkwürdigkeiten: Fast gleichzeitig mit der "Domestica" entstand die lasziv-dekadente "Salome"; und: eignet sich ein Riesenorchester für die Darstellung des privaten Alltags? Für Strauss war das Thema keine Bagatelle: "Ich weiß, daß einige Leute glauben, das Werk sei eine spaßhafte Darstellung des häuslichen Glücks.Aber ich gestehe, daß ich nicht spaßig sein wollte, als ich sie komponierte. Was kann denn auch ernsthafter sein, als das Eheleben? Die Heirat ist das ernsteste Ereignis im Leben, und die heilige Freude einer solchen Vereinigung wird durch die Ankunft des Kindes erhöht."
 

Heimkehr zur "absolute Musik"?

Vier pausenlos ineinander übergehende Abschnitte spiegeln die inhaltliche Idee wider: Familie – Kind – Eltern – Familie, wobei die Temperamente des Mannes und der Frau sowie die glücklich-schlichte Sphäre des Kindes kunstvoll charakterisiert werden. Eine bewegende Liebesnacht und der "lustige Streit" nach dem Aufstehen am folgenden Morgen bilden die Pole, aus denen der "fröhliche Beschluß" des Werkes gewonnen wird.
Die verkappte Viersätzigkeit des Werkes werteten manche Kommentatoren als Rückkehr Strauss‘ zur "absoluten Musik", was dieser zurückwies: "Daß man nicht heute der und morgen ein anderer sein kann, sondern immer der sein muß, als der man vom lieben Gott erschaffen wurde, ist ein zu tiefsinniger Gedanke, als daß er im Gehirn eines Ästhetikers Platz hätte."
 

Nachspiel bei Wanamaker

Strauss dirigierte die Uraufführung selbst: Eine mehrwöchige Amerika-Tournee hatte ihn nach New York geführt. Der Abend des 21. März 1904 an der Carnegie Hall hatte solchen Erfolg, dass ihn das Kaufhaus Wanamaker zu zwei Wiederholungen einlud. Strauss akzeptierte, trotz schockierter Reaktionen aus "good old Europe", zu beachtlicher Gage und rechtfertigte sich: "Geldverdienen für Frau und Kind schändet nicht einmal einen Künstler!" – Möglicher Nachsatz: Geldverdienen mit Frau und Kind (künstlerisch überhöht, versteht sich) auch nicht.

Till Eulenspiegels lustige Streiche

Strauss’ Erstlingsoper "Guntram" 1894 basierend auf eigenen Text war kein Erfolg. Einer der Gründe: "Ich fühlte leider keine dichterische Begabung in mir." Darum bleibt auch das Opernlibretto zu "Till Eulenspiegel" Entwurf. Die sinfonische Dichtung aber wird zum Triumph...
Vom Opernschaffen vorerst abgeschreckt, will Richard Strauss dem Till wenigstens instrumentales Leben einhauchen. Denn nach dem gewichtigen, pathetischen "Guntram" regt sich wohl unwiderstehlich die ironische Ader in Strauss.
Und so charakterisiert er in seiner Opernskizze den Schalksnarren, der im 14. Jahrhundert die deutschen Lande unsicher gemacht haben soll: "Till, der Menschenverächter, der die Natur vergöttert, die sich noch nicht zur Vernunft durchgerungen. Ein Tagedieb, ein Faulenzer, der durch unnütze Arbeit nicht den lieben Gott um seine Zeit betrügt, der die Männer zum Narren hält, ihnen Possen spielt, wo er kann! Der die Frauen verachtet, da er die Liebe einer jeden für erreichbar hält,..."
 

"... selber die Nüsse aufknacken"

Als sich der Dirigent der Kölner Uraufführung (5. November 1895), Franz Wüllner, einige programmatische Erläuterungen erbittet, beschränkt sich der Komponist auf den Hinweis auf die beiden Eulenspiegel-Themen zu Beginn ("die das Ganze in den verschiedensten Verkleidungen und Stimmungen wie Situationen durchziehen bis zur Katastrophe, wo Till aufgeknüpft wird") und den Urteilsspruch "Der Tod" gegen Ende des Werkes. Im übrigen sei es ihm "unmöglich, ein Programm zu ‚Eulenspiegel’ zu geben. [...] Wollen wir daher diesmal die Zuhörer selber die Nüsse aufknacken lassen, die der Schalk ihnen verabreicht."
 

"Da baumelt er"

Für einen Konzertführer trägt Strauss später doch ein paar Hinweise zum Programm des "Till" bei: Der Schalksnarr prescht etwa in Takt 135 "zu Pferde mitten durch die Marktweiber", "Als Pastor verkleidet trieft er vor Salbung und Moral", tauscht "zarte Höflichkeiten mit schönen Mädchen", um 35 Takte später einen "feinen Korb" zu erhalten und Rache an der ganzen Menschheit zu schwören. Als das Gericht sein Todesurteil verkündet, "pfeift er gleichgültig vor sich hin" und muss doch "hinauf auf die Leiter. Da baumelt er, die Luft geht ihm aus, eine letzte Zuckung. Tills Sterbliches hat geendet."


Kann Musik komisch sein?

Ob Musik an sich komisch sein könne, lautet eine der Fragen, mit denen sich Musikstudenten herumzuschlagen haben. Strauss bejaht sie mühelos – und beweist, dass Witz und kunstreiche Gestaltung (insbesondere die meisterhafte Verarbeitung der beiden Till-Themen) durchaus Hand in Hand gehen können.
 

Tod und Verklärung

Strauss ist noch nie ernstlich krank gewesen, als er 1889 die letzte Stunde eines Sterbenden in Töne setzt. Der unerbittliche Strauss-Kritiker Eduard Hanslick zeigt sich hellsichtig: Das ist der geborene Opernkomponist!
Als "sehr bedeutend" qualifiziert der Dirigent Hans von Bülow die neue sinfonische Dichtung, die ihm Richard Strauss knapp nach der Uraufführung des "Don Juan" 1889 vorspielt. Sie hat Bülow "wieder größeres Zutrauen in seine Entwicklung eingeflößt". Nicht nur in der Formbildung und Durchführung der Motive, auch in der Instrumentation hat Strauss nun hohe Meisterschaft erreicht.
Einzig die Kraft seiner Fantasie, kein literarisches Programm und auch kein persönliches Erlebnis hat den 25-Jährigen zu "Tod und Verklärung" inspiriert. Von einer lebensbedrohenden Lungenentzündung wird er erst im Jahr darauf heimgesucht ...
 

Todeskampf – Vollendung

1894 (also wieder einmal rückwirkend) gibt Strauss ein Programm zu der Tondichtung ab: "Der Kranke liegt im Schlummer schwer und unregelmäßig atmend zu Bette [Largo]; freundliche Träume zaubern ein Lächeln auf das Antlitz des schwer leidenden; der Schlaf wird leichter; er erwacht; grässliche Schmerzen beginnen ihn wieder zu foltern, das Fieber schüttelt seine Glieder – als der Anfall zu Ende geht und die Schmerzen nachlassen, gedenkt er seines vergangenen Lebens: seine Kindheit zieht an ihm vorüber, seine Jünglingszeit mit seinem Streben, seinen Leidenschaften und dann, während schon wieder Schmerzen sich einstellen, erscheint ihm die Frucht seines Lebenspfades, die Idee, das Ideal, das er zu verwirklichen, künstlerisch darzustellen versucht hat, das er aber nicht vollenden konnte, weil es von einem Menschen nicht zu vollenden war. Die Todesstunde naht, die Seele verlässt den Körper, um im ewigen Weltraume das vollendet in herrlichster Gestalt zu finden, was es hienieden nicht erfüllen konnte."


"... auf den Weg des Musikdramas"

Die Uraufführung am 21. Juni 1890 in Eisenach leitet wieder der junge Komponist. Und als "Tod und Verklärung" 1893 erstmals in Wien erklingt, zeigt der Kritiker Eduard Hanslick inmitten einer Serie von Strauss-Verrissen Weitsicht: "Es fehlt dieser realistischen Anschaulichkeit ... nur der letzte entscheidende Schritt: die matt erleuchtete Krankenstube mit dem Verscheidenden auf wirklicher Bühne; sein Todeskampf, seine Visionen, sein Sterben... Die Art seines Talents weist den Komponisten eigentlich auf den Weg des Musikdramas."